Pflicht- oder Zwangsmitgliedschaft?
Wer meint, sich politisch korrekt auszudrücken spricht von Pflichtmitgliedschaft. Aber im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wird auch von Zwangskorporation und „Zwangsverbänden“ gesprochen. Dort heißt es: „Zwangsverbände sind nur zulässig, wenn sie öffentlichen Aufgaben dienen und ihre Errichtung, gemessen an diesen Aufgaben, verhältnismäßig ist.“ Man outet sich also nicht mehr als Mitglied einer verdächtigen außerparlamentarischen Opposition, wenn man von Zwang spricht.
Jeder, der gewerbesteuerpflichtig ist, wer z.B. eine eigene Taxe oder eine Eckkneipe, einen Imbiss oder sogar wer ein Bordell betreibt, ist automatisch ein Zwangsmitglied der IHK. Ein Handwerksbetrieb, der auch z.B. mit Ersatzteilen handelt, ist Zwangsmitglied der Handwerkskammer und der IHK. Ebenfalls ist eine Apotheke in zwei Kammern Zwangsmitglied.
Zwang kommt von zwingen. Mit Druck wird man gezwungen etwas zu tun oder zu unterlassen. Man bekommt keine selbst erwünschte Gegenleistung und muss den Erfolg des Zwangs im Ermessen des Zwingenden lassen Zwang macht unfroh.
Dagegen steht die Pflicht. Das mag Erziehungs- oder Steuerpflicht sein und geht bis zur ehelichen Pflicht. Diese hat man, weil man gesetzliche, moralische oder ethische Verpflichtungen erfüllen muss. Dahinter steht auch oft das Erfolgserlebnis nach einer Pflichterfüllung. Ein Erfolgserlebnis bei der Kammerpflicht ist schwer nachvollziehbar.
In einem Verein kann man z.B. eine Beitragspflicht haben. Wenn man sie nicht erfüllen kann, tritt man aus oder wird ausgeschlossen. Wenn man eine Organisation nicht verlassen darf, dann wird aus Pflicht Zwang.
Zwang ist in einer demokratischen Gesellschaft dem Gewaltmonopol des Staates zuzuordnen.
Zwang greift in die Grundrechte der Bürger ein. Daher ist ein strenger Maßstab an die Zulässigkeit zu setzen.
Wer in einer IHK Zwangsmitglied ist, muss auch einen Nutzen davon haben. Ein Kleinbetrieb, der z.B. nicht ausbildungsfähig ist, keine Exportdokumente benötigt und nur den Inhaber, bzw. dessen Familie ernährt, hat keinen Nutzen aus der Mitgliedschaft. Selbst wenn der Betrieb ausbilden wollte, so ist die Inanspruchnahme der IHK mit Kosten verbunden. Der Anspruch der IHK ist es auch, Gebühren dafür zu erheben, die kostendeckend sind. Warum also muss dieser Betrieb in die Bürokratie der Beitragsermittlung und -erhebung einbezogen werden?
Gegen Zwang hat jeder Demokrat einen Widerwillen und sieht mit Abscheu, wie in totalitären Staaten Zwang angewendet wird. Wir aber leisten uns eine Zwangsmitgliedschaft in Handwerks-, Anwalts- , Handelskammern mit der diese Organisationen komfortabel alimentiert werden. Das führt dazu, dass sich beispielsweise die IHK-Berlin und die Handwerkskammer Berlin gemeinschaftlich mit „Wahlprüfsteinen“ auf 66 DIN A4 Seiten in die Berliner Landspolitik mit Forderungen einmischen. Angeblich tun sie das im ermittelten gemeinsamen Interesse der Berliner Kammerzugehörigen. In diesem Papier steht dann u.a., dass die städtischen Wohnungsbaugesellschaften privatisiert und umstrittene privatisierte Unternehmen der Daseinsvorsorge nicht wieder rekommunalisiert werden sollen.
Das ist ein unzulässige Bevormundung mündiger Bürger, die gegen ihren Willen den Kammern zugerechnet werden.
Mit ihrer unzulässigen Einmischung in Landespolitik überschreitet die IHK selbst die Grenzen, welche die Bundes FDP auf einem Parteitag in Rostock 2006 setzte, um die Existenz einer Pflichtmitgliedschaft zu akzeptieren.´
Die Aufgabe der IHK ist hauptsächlich die Organisation von Berufsausbildung und das Sachverständigenwesen. Das und weiteres steht im IHK-Gesetz.
Weiterhin:
„die Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirkes wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen; dabei obliegt es ihnen insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten sowie für Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken.“
Weitere Aufgaben sind die Ausstellung von Ursprungszeugnissen und anderen dem Wirtschaftsverkehr dienenden Bescheinigungen. Zusätzliche Aufgaben können ihr per Gesetz oder Rechtsverordnung übertragen werden.
Nicht zu ihren Aufgaben gehört die Wahrnehmung sozialpolitischer Interessen. Kommunale Wohnungsbaubewirtschaftung und Rekommunalisierung sind sozialpolitische Interessen aller Bürger. Hier ist eine Parteinahme der IHK nicht zulässig.
Wer immer in einer Partei aktiv ist, sollte diesen Punkt in die parteiinterne Debatte einbringen.