Kooptation
Kooptation – ein fragwürdiges Procedere
In der Berliner IHKist es üblich, dass es neben den 98 direkt gewählten Mitgliedern der Vollversammlungen noch12 Kooptationen gibt.Auf Vorschlag von mindestens 10 Mitgliedern der Vollversammlungoder des Präsidiums werden diese von der Vollversammlung hinzu gewählt.Zuvor muss das Präsidiumdie persönlichen Voraussetzungen der Wählbarkeitprüfen.
Diese sind gemäß Wahlordnung:
a)eine möglichst vollständige Abbildung der Berliner Wirtschaftsstruktur
b)Integration von Unternehmen von besonderer Bedeutung für die Berliner Wirtschaftsstruktur in der Vollversammlung
c)Einbeziehung bedeutender Unternehmerpersönlichkeiten
2007 erfolgte die Kooptation in der zweiten Sitzung der Legislaturperiode. Eine Ausnahme war der damalige Siemens Vorstand, Herr Radomski, der in dieser Sitzung auch ins Präsidium berufen werden sollte.
Dieses Mal erfuhren die Mitglieder der Vollversammlung erst ca.12 Tage vor der konstituierenden Sitzung mit der Tagesordnung, dass es 12 Kooptationskandidaten gibt, die per Tagesordnungspunkt 1 zu Beginn der Sitzunggewählt werden sollen und auch bereits an der Sitzung teilnehmen.
Es hieß, dass 10 Mitglieder der Vollversammlung den Vorschlag einbrachten, d.h. Dr. Schweitzer und 9 weitere.
Die satzungsgemäße Prüfung erfolgte durch das alte Präsidium per Umlaufbeschluss wenige Tage vor Versendung der Einladung. Dazu ist anzumerken, dass dieSatzung einen Umlaufbeschluss nicht vorsieht. Präsidiumsbeschlüsse sind nur möglich, wenn „mindestens die Hälfte der Mitglieder anwesend ist … Über Verhandlungen im Präsidium ist eine Niederschrift zu fertigen.“
Es gab keine Sitzung. Es gab keine Niederschrift.
Warum diese eiligeKooptation?
Erstmalig gab es einen Gegenkandidaten für das Präsidentenamt. Es war dem Kandidaten zwar klar, dass er keine Chance hatte, aber er hielt es erforderlich,weil nur damit ein geheimes Wahlverfahren gewährleistet war. Während 2007 der Präsident nocheinstimmig und ohne Enthaltungen offen gewählt wurde, war 2012- nachdem sich eine Opposition abzeichnete – ein merkbar anderes Ergebnis zu erwarten. Also war es sinnvoll, zuvor 12 Personen seines Netzwerkes zu kooptieren und sich dann auch mit diesen Stimmen wählen zu lassen.
Es führte dann auch in der Präsidentenwahl (Tagesordnungspunkt 2) zu folgendem Ergebnis:
Mit den Stimmen der 12 Kooptierten waren es ca. 88 % Zustimmung. Er nannte es später im Tagesspiegel einen „starken Vertrauensbeweis.“
Anmerkung: Bei der IHK-Wahl 2012 erhielt der Präsident 94 Stimmen von 1972 Stimmerechtigten in seiner Wahlgruppe. Weiteres hier
Ohne die 12 Stimmen wären es ca. 77%. Und es war vor der geheimen Wahl nicht vorauszusehen, wie viele tatsächlichfür einenGegenkandidaten stimmen würden.
Aus diesem Grund warb der bei Sitzungsbeginn noch amtierende Präsident auch eindrücklich für die frühzeitige Kooptation.Sie sei gesetzlich vorgesehen und es wäre ein höchst demokratisches Verfahren. Die Mitglieder der Vollversammlungkonnten also davon ausgehen, dass sie hier nur eine gesetzliche Bestimmung ausführten.
Da kann man auch
- Es gibt kein Gesetz, dass eine Kooptation vorschreibt.Tatsächlich ist die Kooptation eine Kannbestimmung, die jederzeit von der Vollversammlung verschoben oder geändert werden kann.
- Kooptationen entstammen ochlokratischer Herrschaftsformen. Das ist die Herrschaft der Wenigen, die sich in ihren Gremien durch Personen ihres Vertrauens verstärken.Es widerspricht dem Sinn unserer demokratischen Grundordnung, wenn man dieses Verfahren auch für das Parlament einer Körperschaft öffentlichen Rechts anwendet.
Man kann darüber nachdenken, ob die 12 Kooptierten tatsächlich den Erfordernissen der Satzung entsprachen:
Zwei von ihnen sind Geschäftsführer von Berlin Partner GmbH und Berlin Tourismus & Kongress GmbH. Beides sind Firmen mit Landesbeteiligung. In beiden Firmen sind IHK-nahe Personen im Aufsichtsrat.
Zwei weiter gehören den Vorständen von Vivantesund der Charité an. Ebenfalls Landesbeteiligungen. Wobei die Wahlgruppe Gesundheitswesen nunmehrmit 7 statt 5 Vertretern in der Vollversammlung vertreten ist.
Weiterhin wurde die Wahlgruppe Banken, neben der Deutschen Bank und der Landesbank um einen weiteren Vorstand der Volksbank durch Kooptation verstärkt.
Auch der Geschäftsführer von Hertha BSC wurde kooptiert. SeinChef ist der Ehrenpräsident der Berliner IHK Gegenbauer.
Ein weiteres Unternehmen in Landesbesitz, der Geschäftsführer der Gesobau verstärkte die Wahlgruppe 19, der Immobilienwirtschaft. Auch dort war bereits schon die TLG als staatliches Unternehmen vertreten.
Auch ein Vertreter der Deutschen Bahn (Bundesbesitz)wurde kooptiert.
Weiterkooptiert wurden
– der Präsident der Handwerkskammer, auch Aufsichtsratsmitglied der Berliner Volksbank und somit einer Verstärkung der Wahlgruppe Banken. Dennoch es ist eine interessante Personalie, wenn der Präsident der Handwerkskammer auch im IHK-Präsidium sitzt. Es ist ohnehin anzustreben, dass zwischen IHK und HWK alle möglichen Synergien genutzt werden, um die Kosten der Mitglieder zu senken.
– ein Busunternehmer, der schon 2007 in die Vollversammlung kooptiert und anschließend das Präsidium der IHK berufen wurde,
– ein Vertreter der Air Berlin (Sitz der AG ist England)
– und tatsächlich auch noch ein Geschäftsführer eines funktionierenden Wirtschaftsunternehmens (BAE), in welchem die öffentliche Hand nicht vertreten ist.
Es sind ehrenwerte Berliner IHK-Zugehörige der gehobenen Berliner Wirtschaftsstruktur. Sie haben alle meinen persönlichen Respekt. Sie sind sicher gebeten worden, sich zur Verfügung zu stellen.
Es soll jedoch nicht unbeachtet bleiben, dass die Hälfte von ihnen Angestellte von Unternehmen in Landes- oder Bundesbesitz sind. Vertreter von kleinen oder mittelständischen Unternehmen sind nicht darunter, obwohl sie mitca. 93 % der IHK-Zugehörigen die Berliner Wirtschaft signifikant abbilden. Durch diese Kooptationen haben die 93% KMU schlagartig in der Vollversammlung 11% an Einfluss verlore
Interessierte Leser dieses Beitrages mögen selbst entscheiden, ob die Voraussetzungen (s.oben) einer Kooptation so auch von der Vollversammlung beurteilt würden, wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte, an der Kandidatenkür selber aktiv teilzunehmen.Hier hat ein ausscheidendes Präsidium Wochen nach seiner letzten Sitzung noch schnell Kooptationen genehmigt, damit bei der Präsidentenwahl eine bessere Mehrheit zustande kommt.
Die Wahl zur Kooptation fand offen und en bloc statt.Der Antrag, geheim abzustimmen, wurde per Auszählung der Handzeichen von ca. 72% der Anwesenden abgelehnt. Zwei Stimmen weniger, und es hätte nach allen Bestimmungen der Satzung geheim abgestimmt werden müssen.
Es hätte ohnehin geheim abgestimmt werden müssen, wenn man § 4 Abs. 1 der Satzungberücksichtigt hätte, wonach die bis zu 110 Mitglieder der Vollversammlung in geheimer Wahl gewählt werden. Darüber zu befinden ist jetzt Sache der Senatorin für Wirtschaft.